Montag
Kannst Du Dich noch an unsere Telefonrechnungen erinnern? Damals kostete eine Einheit 23 Pfennig und es kamen viele davon zusammen. Wir telefonierten Stunden, sehr zur Missbilligung meines Vaters, der es unnütz fand, wenn wir uns doch tagsüber gesehen hatten, warum mussten wir dann noch abends so lange »quatschen«? Ich lebte noch in meinem Elternhaus und beneidete Dich glühend um Deine eigene Wohnung mit Deinem Freund. Wart Ihr nicht sogar verlobt?
Und heute? Heute haben wir eigene Häuser, Kinder, Männer, auf die man sich verlassen kann, verlassen muss, weil ohne kannst Du nicht mehr leben, wobei es heißen müsste nicht sterben. Denn Du stirbst. Langsam und grausam. Die Krankheit hat Dir jede Hoffnung auf ein gemeinsames Leben mit Deinen Enkeln genommen. Hat Dir die Hoffnung auf einen schönen Ruhestand mit Deinem Mann genommen. Sie hat Dir das Atmen genommen und die Angst ist bei Dir eingezogen. Die Todesangst. Ich habe es heute Morgen mit Dir durchgestanden, denn ich habe an Deinem Bett gewacht, weil Dein Mann in die Klinik musste. Ich habe Deine Hände gehalten, als Du wie Espenlaub gezittert und immer »HILF MIR! HILF MIR!« unter der Atemmaske geschrien hast. Und als endlich der Palliativ-Notdienst kam und Dich mit den entsprechenden Infusionen in den Schlaf schickte, habe ich weiter gewacht und gedacht, wo bleibt er denn, der Tod, warum kommt er nicht endlich, warum lässt er Dich so leiden.
Ich will nicht, dass Du stirbst, aber ich will, dass Du endlich tot sein kannst, damit das aufhört, dieses grausame Leiden. Ich will, dass der Tod kommt und das Leiden mitnimmt und dann wird mir klar, dass er Dich dann auch mitnimmt und ich es bin, die schreien wird, weil ich nicht will, dass Du mich verlässt, wir wollten doch gemeinsam alt werden, mit unseren Rollatoren herumfahren und uns aus unserem Leben erzählen.
Dein Rollator kam viel zu früh, ohne ihn konntest Du nirgendwo mehr hin, weil er das Sauerstoffgerät transportierte, das Dir die Krankheit aufgenötigt hat. Und jetzt? Jetzt kannst Du auch mit Rollator nirgendwo mehr hin, weil Du nicht mehr gehen kannst. Weil Dir die Krankheit auch dafür die Kraft genommen hat.
Ich denke so sehr an Dich! Ich hoffe, Du hast eine ruhige Nacht!
Dienstag
In der Nacht rief mich Dein Mann an, noch zweimal sei der Palliativ-Notdienst da gewesen, da die Medikation nachgelassen hat, man musste sie erhöhen und als Du endlich friedlich schlafen konntest, hat man die Druckbeatmung entfernt und dann hast Du irgendwann fast unbemerkt aufgehört zu atmen.
Und jetzt bist Du tot. So, wie Du es wolltest, wie wir es alle wollten, weil Dein Leid für niemanden mehr zu ertragen war, weil Du endlich erlöst bist. Endlich ist es vorbei. Du bist gegangen. Ich habe an Deinem Totenbett gesessen und versucht, es zu begreifen. Ich begreife es nicht. Wie ein Kinofilm, von dem man sagt, ach das war ja am Ende eine schreckliche Geschichte, komm lass uns einen trinken gehen und dann ist das vergessen. So kommt es mir vor. Schrecklich das alles aber ich schreibe Dir mal eben, was ich so erlebt habe.
Ich schreibe Dir nie mehr, was ich so erlebt habe. Und Du wirst es nie mehr lesen. Wo bist Du jetzt? Gibt es Dich noch, so wie Du warst, so innerlich? Kannst Du mich sehen? Kann ich Dir was erzählen?
Ich würde so gerne wieder mit Dir reden.
😔 …ja, an manchen Tagen ist alles „doof“ und tut „weh“. Das darf sein. ….
da kann ich mich „gedankenmeehr“ nur anschließen. Es tut weh, wenn ein geliebter Mensch für immer geht. Es tut mir leid 😢